Millionen Infizierte? :
Zweifel an offiziellen Zahlen in Südafrika

Von Claudia Bröll, KAPSTADT
Lesezeit: 2 Min.
Menschen, die negativ auf das Virus getestet wurden, bekommen in Pretoria semi-permanente Tinte aufgetragen.
Bis zu 20 Millionen Menschen sollen sich in Südafrika mit dem Coronavirus infiziert haben. Der befürchtete Kollaps des Gesundheitssystems blieb trotzdem aus. Jetzt drängt die Tourismusbranche darauf, die Grenzen zu öffnen.

In Südafrika haben sich nach Angaben von Wissenschaftlern womöglich schon Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Die tatsächliche Zahl seit dem Ausbruch der Pandemie liege eher zwischen 15 und 20 Millionen als um die offiziell gemeldeten 650.000, sagte Shabir Madhi, Professor an der Johannesburger Wits-Universität und Mitglied des Beraterstabs der Regierung, in einem Web-Seminar der Internetzeitung „Daily Maverick“. In dicht besiedelten Gegenden hätten sich vermutlich schon 35 bis 40 Prozent der Menschen angesteckt – weitaus mehr als anfangs erwartet.

Südafrika liegt derzeit an achter Stelle unter den Ländern mit den höchsten Infektionszahlen, hinter Kolumbien und vor Spanien. Zwar werden dort mehr Menschen getestet als in anderen afrikanischen Ländern, aber auch weit weniger als in Europa. Auf 1000 Einwohner kommen etwa 62 Tests – in Deutschland sind es nach Angaben der Johns Hopkins University 160.

Womöglich Immunität entwickelt

Anfangs war befürchtet worden, das Virus könne in Südafrika zu einem Kollaps des Gesundheitswesens führen. Doch ungeachtet der hohen Infektionszahlen blieben solche Schreckensszenarien bisher aus. Im August wurden mehrere Feldkrankenhäuser wieder abgebaut. Auch das größte von ihnen, das „Hospital of Hope“ im Kapstädter Konferenzzentrum, ist mittlerweile geschlossen.

Auch die Zahl der Todesopfer – nach offiziellen Angaben 15.500 – ist geringer als zunächst erwartet. Das niedrige Durchschnittsalter der Bevölkerung könnte dabei eine Rolle spielen, sagte Madhi. Es gebe aber noch eine weitere interessante These dazu. Demnach haben Teile der Bevölkerung womöglich eine Immunität entwickelt, weil sie früher schon ähnlichen Viren ausgesetzt waren.

Südafrikas Regierung hatte frühzeitig mit drastischen Ausgehverboten auf die Pandemie reagiert. Fünf Wochen lang stand das Wirtschaftsleben still. Zusätzlich zu den üblichen Beschränkungen war über Monate hinweg der Verkauf von Alkohol und Zigaretten verboten. Bis heute ist lediglich der inländische Flugverkehr erlaubt. Jetzt mehren sich Spekulationen, wonach Staatspräsident Cyril Ramaphosa in dieser Woche die Ausgehregeln auf Stufe 1 senken wird. Damit könnten das nächtliche Ausgehverbot und das Alkohol-Verkaufsverbot am Wochenende fallen. Die Tourismus- und Luftfahrtbranche drängt zudem vehement darauf, die Grenzen zu öffnen. In wenigen Wochen beginnt der Sommer und damit die Hauptsaison. Bisher dürfen nur Flugzeuge für Rückholaktionen, die von ausländischen Botschaften organisiert wurden, in Südafrika landen.

Unterstützung kommt nun auch von Seiten der Mediziner. Es gebe aus medizinischer Sicht „keine Gründe“ mehr, internationale Flüge weiter zu verbieten, sagte der Impfforscher Madhi. Die Auswirkungen durch einzelne Touristen seien minimal. Allerdings müssten Regeln wie die Maskenpflicht weiter befolgt werden. Auch Massenveranstaltungen müssten unterbleiben. „Corona wird noch lange ein Teil unseres Lebens bleiben“, sagte Madhi.