Thomas Cook:Touristen büßen für deutsche Ausnahme

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Die Flugzeuge von Thomas Cook bleiben am Boden. (Foto: Phil Noble/Reuters)
  • Zehntausende werden wahrscheinlich kaum bis kein Geld für angezahlte Reisen zurückerhalten.
  • Die vorgesehene Versicherung ist in Deutschland auf 110 Millionen Euro beschränkt.
  • Das Geld wird voraussichtlich alleine für die Rückholung gestrandeter Touristen gebraucht.

Von Herbert Fromme und Nina Nöthling, Köln

Eigentlich wollte Peter Waldow in dieser Woche in der Türkei Urlaub machen. Aber die Pleite des Reiseveranstalters Thomas Cook sorgt dafür, dass der Elektroingenieur und Geschäftsführer aus Kamp-Lintfort und seine Frau in Deutschland bleiben. "Dabei haben wir schon 1500 Euro für die Reise bezahlt", sagt Waldow.

So wie ihm geht es Zehntausenden. Sehr wahrscheinlich sehen sie von dem Geld kaum etwas wieder. Denn die für solche Fälle vorgesehene Versicherung, die Thomas Cook für seine Kunden bei der Zurich abgeschlossen hat, ist in Deutschland auf 110 Millionen Euro beschränkt.

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Viele Millionen zahlt die Zurich dafür, die gestrandeten Urlauber zurückzuholen. Das dürfte im Wesentlichen klappen, auch wenn viele von ihnen großen Ärger haben und Hotels sie nötigen, ihre Zimmermiete noch einmal zu begleichen. Für die meisten gilt aber, dass die Zurich die Bezahlung von Hotels und Rückflügen geregelt hat. Anfang vergangener Woche waren 140 000 Urlauber, die bei Thomas Cook gebucht hatten, gestrandet.

Am Montag waren es nur noch 17 000. Für die Rückholung geht allerdings der Großteil der 110 Millionen Euro drauf. Die Folge: Kunden, die künftige Reisen ganz oder teilweise bezahlt und noch nicht angetreten haben, werden weitgehend leer ausgehen. Branchenexperten gehen davon aus, dass sie höchstens noch zehn Prozent ihres Geldes vom Versicherer erhalten werden. Grund dafür ist eine gesetzliche Regelung: Die Leistungen, die ein Versicherer pro Jahr aus der Absicherung von Pauschalreisenden zahlt, kann er auf 110 Millionen Euro beschränken. Das reicht im Fall Thomas Cook bei Weitem nicht aus.

Betroffene sollten trotzdem ihre Ansprüche unbedingt anmelden. Das geht am besten über die Webseite des damit beauftragten Dienstleisters Kaera (www.kaera-ag.de)

Die Lobby setzte sich durch

Dass die Deckungssumme zu niedrig ist, überrascht Experten nicht. Verbraucherschützer kritisieren die Begrenzung schon lange, bei der jüngsten Revision des Gesetzes 2017 plädierte sogar das Justizministerium für eine Grenze von 300 Millionen Euro. Aber die Lobby der Reiseveranstalter setzte sich durch, es blieb bei 110 Millionen Euro. Denn eine höhere Versicherungssumme hätte auch deutlich höhere Beitragszahlungen bedeutet.

Laut der EU-Richtlinie für Pauschalreisen müssen alle Mitgliedsstaaten einen wirksamen Schutz für Kundengelder haben. Wie sie das machen, ist ihnen überlassen. Deutschland hat sich für die Versicherungslösung entschieden. "Die 110 Millionen Euro sind eine deutsche Eigenheit und so nicht in der EU-Richtlinie vorgesehen", erläutert Beate Wagner, Juristin bei der Verbraucherzentrale NRW.

Dazu kommt eine weitere, bizarre Vorschrift des Gesetzes, die ebenfalls dem Drang der Reisebranche nach möglichst niedrigen Prämienzahlungen geschuldet ist: Die Höchstgrenze gilt nicht pro Reiseveranstalter oder pro Schadenfall (also Pleite), sondern für alle möglichen Schäden, die ein Versicherer in einem Jahr in dieser Sparte hat.

Die Folge: Weil der aktuelle Fall die gesamten 110 Millionen Euro kosten wird, würden die Kunden eines anderen Veranstalters - sollte der ebenfalls Pleite gehen und bei der Zurich versichert sein - vollständig leer ausgehen. Peter Waldow ist empört über diese Regel. "Wenn die Zurich 2019 schon vorher Schäden bei einem anderen Veranstalter gehabt hätte, oder es folgen noch weitere Insolvenzen, fällt das alles unter diesen Deckel."

Zurich und Bundesjustizministerium sind verschiedener Ansicht

Das Bundesjustizministerium sieht das Problem auch - glaubt aber nicht, dass die Lage für die Thomas Cook-Opfer so düster ist wie befürchtet. "Die 110 Millionen Euro beziehen sich nur auf die Entschädigung von Urlaubern, die noch nicht gefahren sind, nicht auf die Rückholung", sagt ein Sprecher. Die Rückholung sei unabhängig von der Entschädigung für Voraus- und Anzahlungen versichert. Die Zurich sieht das anders. "Das Gesetz sieht eine Beschränkung der gesamten Zahlungen vor."

Immerhin: Das Justizministerium bereitet jetzt ein Forschungsprojekt vor, in dem geprüft werden soll, ob es bessere Möglichkeiten zur Absicherung von Kundengeldern gibt und wie die anderen EU-Länder das machen. Eigentlich sollte das Projekt zwei Jahre dauern, doch in Berlin dämmert es, dass die Regierung so viel Zeit nicht hat. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) geht davon aus, dass die Thomas-Cook-Insolvenz ein Fall für die Staatshaftung werden kann. "Die Bundesregierung hat die EU-Richtlinie schlecht umgesetzt", sagte Felix Methmann, juristischer Referent für Mobilität und Reisen. Die Policen seien kein wirksamer Schutz der Kundengelder, wie in der EU-Richtlinie gefordert. Geschädigte könnten deshalb gegen die Bundesrepublik klagen. Doch ein Musterfeststellungsverfahren wie aktuell gegen VW ist in diesem Fall nicht möglich, erläutert Methmanns Kollegin Marion Jungbluth. Bei Amtshaftungsklagen - um die es in diesem Fall geht - gibt es kein Musterfeststellungsverfahren. "Jeder Betroffene muss die Bundesrepublik vor Gericht verklagen und seinen individuellen Schaden einzeln einfordern", sagt Jungbluth. Solche Verfahren dauern Jahre.

Wer in Deutschland demnächst eine Pauschalreise buchen will und sich um sein Geld sorgt, hat keine Möglichkeit, sich zusätzlich abzusichern, sagt sie. Anders sieht es bei reinen Flugbuchungen aus. Hier bieten Versicherer Reiserücktrittsversicherungen an, mit denen sich Reisende für den Fall absichern können, dass ein Flug annulliert wird. Zu den Anbietern gehören unter anderem Allianz, Element und Simplesurance. Reisende könnten also Flug und Hotel separat buchen. Die Juristin Wagner aus Nordrhein-Westfalen findet diese Policen allerdings bedenklich. "Hier wird ein Unternehmensrisiko auf den Kunden abgewälzt."

Das Thomas-Cook-Opfer Peter Waldow versucht jetzt, auf anderem Wege an sein Geld zu kommen. Er hat die Reise per Kreditkarte bezahlt - und will die Summe von dem Versicherer zurückfordern, der die Kunden der Kreditkartenfirma absichert. Ob ihm das gelingt, ist fraglich. Es ist sehr gut möglich, dass dieser Versicherer ihn an die Zurich verweist.

© SZ vom 01.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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