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Wirtschaft Stornierte Flugtickets

Mit dem Gutschein-Trick wollen sich Airlines vor der Rückzahlung drücken

So erhalten Sie den Ticketpreis zurück

Viele Airlines bieten in der aktuellen Coronavirus-Pandemie eine Umbuchung oder einen Gutschein an. Doch dieser ist nur unter gewissen Umständen rechtens.

Quelle: WELT / Nicole Fuchs-Wiecha

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Werden Flüge wegen Corona gestrichen, muss die Airline den Preis erstatten. Doch Kunden laufen mit ihren Forderungen gegen eine Wand, Zehntausende Anträge bleiben unbearbeitet. Bund und EU wollen das Problem lösen – doch das könnte die Verbraucher hart treffen.

Michael Hahne hat jetzt seinen Anwalt eingeschaltet. Wochenlang hatte der Hamburger versucht, von seinem Eurowings-Flug nach Palma de Mallorca zurückzutreten: vergeblich. Die Fluggesellschaft tat, als habe sie ihn nicht gehört.

Hahne hatte seinen Trip aus nachvollziehbaren Gründen stornieren wollen. Spanien hat sich zu einem der weltweit schlimmsten Hotspots der Corona-Krise entwickelt. Scharfe Reisebeschränkungen sind in Kraft. Mallorquinische Freunde warnten Hahne telefonisch: „Wenn du hier landest, stecken sie dich sofort zwei Wochen in Quarantäne.“

Doch Hahnes Wunsch, die Reise nicht mehr anzutreten, nahm Eurowings nicht zur Kenntnis. Am Samstag, vier Tage vor Abreise, kam von der Airline nur der freundliche Hinweis, dass sich der Abflug von 6 Uhr auf 9.05 Uhr verschieben würde. Montagnacht folgte die Information, dass der Rückflug nicht mehr stattfinden würde. Mallorca oneway? „Die wollen mich da unbedingt hinkarjolen“, ärgerte sich Hahne.

Von Eurowings heißt es auf WELT-Anfrage: „Rückerstattungen sind weiterhin möglich, und unsere Kunden verlieren ihr Geld nicht. Wir müssen angesichts der Dimension der Krise unsere Kunden aber um Verständnis dafür bitten, wenn sich die Bearbeitung von Erstattungsanträgen etwas verzögern kann.“

Der Hamburger Rechtsanwalt Moritz Diekmann ärgert sich noch über etwas anderes: Nicht nur Eurowings, viele Fluggesellschaften veröffentlichen derzeit „Kundeninformationen“, in denen sie für Umbuchungen werben oder Reisegutscheine anbieten.

Nur eines wird dort verschwiegen: die geltende Rechtslage. Nach Artikel acht der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung müssen Airlines bei gecancelten Flügen den vollen Ticketpreis zurückerstatten, und zwar innerhalb von sieben Tagen. „Der Anspruch auf Erstattung der Ticketkosten gilt auch bei außergewöhnlichen Umständen, wie zum Beispiel der Corona-Pandemie“, stellt Diekmann klar. „Gutscheine dürfen die Kunden ablehnen.“

Ansprüche der Kunden sind für Airlines existenzbedrohend

Der Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz hat einen „Mahnschreibengenerator“ ins Internet gestellt, der es den Kunden leichter machen soll, ihre Geld-zurück-Forderung anzumelden. Die Nachfrage ist groß. Seit Montag dieser Woche wurden mithilfe von Diekmanns Vordrucken 198 Flugpreis-Erstattungen über 215.000 Euro bei den Airlines geltend gemacht.

Die Ansprüche aller Kunden entwickeln sich zu einer Existenzbedrohung der Fluggesellschaften. Der führende europäische Ticketgroßhändler Aerticket in Berlin ist mit der Masse der Rückzahlungsforderungen völlig überfordert. Der „Consolidator“ stellt im Auftrag von rund 3500 Reisebüros 3,5 Millionen Tickets pro Jahr aus.

In normalen Zeiten sind hier vier Leute damit beschäftigt, pro Tag 40 oder 50 Forderungen von Kunden abzuwickeln. Inzwischen wurde die Mitarbeiterzahl verdreifacht, doch es hilft nichts: „Aktuell haben wir einen Rückstau von 15.750 Refund-Anträgen“, entschuldigt sich Aerticket.

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Die Airlines winden sich. „Die geltenden Regeln sind für die Streichung einzelner Flüge gedacht, aber nicht für den Zusammenbruch des gesamten Systems“, sagt eine Lufthansa-Sprecherin. „In dieser absoluten Ausnahmesituation ist eine vorübergehende, krisenbedingte Flexibilisierung nötig.“

Der Airline-Branchenverband IATA schätzt, dass weltweit bei den Airlines für das zweite Quartal 35 Milliarden Dollar in der Kasse für gestrichene Flüge liegen. Wenn das unmittelbar zurückerstattet werden müsste, würde sich die beispiellose Krise für die Branche noch beschleunigen.

Die Fluggesellschaften könnten ihre Kosten nicht so schnell senken, um die aktuellen Auswirkungen abzufedern. Wenn die Reisebeschränkungen drei Monate dauern, würden die Airlines weltweit etwa 252 Milliarden Dollar weniger Umsatz erzielen und allein im zweiten Quartal bei einem Einbruch der Flüge um 71 Prozent rund 39 Milliarden Dollar Verlust machen.

Reisebüros sitzen zwischen den Stühlen

In ihrer Not spielen die Gesellschaften auf Zeit. „Der vollständige Flugpreis wird erst dann zurückgezahlt, wenn die Fluggesellschaft selbst den Flug absagt“, sagt Phillip Eischet, Chef der Internet-Rechtsfirma RightNow: „Dies geschieht leider oftmals bewusst sehr kurzfristig.“

Er beobachtet, dass „nahezu alle Fluggesellschaften sehr zurückhaltend agieren und für die Kunden kaum mehr erreichbar sind“. Am Ende werde versucht, „die Rückzahlungsdauer massiv in die Länge zu ziehen“, zuweilen auch mit Verweis auf „technische Probleme“.

Eischet kritisiert, dass die Fluggesellschaften mit vermeintlich tollen Umbuchungsoptionen werben. „Was häufig jedoch nur im Kleingedruckten steht: Es entfällt lediglich die Umbuchungsgebühr.“ Konkret bedeutet das: Wenn das Ticket für den gestrichenen Flug 50 Euro gekostet hat und ein neuer Flug 120 Euro kostet, sind die 70 Euro Differenz zu zahlen.

Zwischen allen Stühlen sitzen in dieser Situation die Reisebüros und kleinen Veranstalter. Sie bekommen den ganzen Ärger ab, können aber nichts tun und sind selbst von Insolvenz bedroht.

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Denn sie sind durch die Pauschalreise-Richtlinie verpflichtet, den Reisepreis von zusammenhängenden Dienstleistungen wie etwa Flugticket plus Mietwagen oder Hotel innerhalb von 14 Tagen zurückzuerstatten.

Ihrerseits sehen sie aber die Zahlungen an Hotels und Airlines nicht wieder. Laut einer Umfrage des Deutschen Reiseverbandes (DRV) zwischen dem 24. und 27. März hatten noch 90 Prozent der Unternehmen keinerlei Hilfsgelder vom Bund erhalten. „Unsere große Herausforderung ist der Faktor Zeit“, mahnt DRV-Präsident Nobert Fiebig. „Ansonsten werden viele Unternehmen nicht durch die Krise kommen.“

Bundesregierung sucht nach einer Lösung

Auch mit Blick auf die knapp 75.000 Arbeitsplätze bei Reisebüros und -veranstaltern will die Politik jetzt handeln: Das „Corona-Kabinett“ der Bundesregierung berät aktuell die Lage. Auf dem Tisch liegt eine Lösung, wie sie auch in anderen europäischen Ländern praktiziert wird: Statt einer Rückzahlung sollen Airline-Kunden Reisegutscheine akzeptieren müssen, die ein Jahr gültig sind und vom Staat gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters abgesichert werden.

Das hält auch die Lufthansa für eine sinnvolle Lösung: „Damit erhalten die Unternehmen in dieser schwierigen Zeit etwas Luft zum Atmen. Gleichzeitig bleiben die Ansprüche der Kunden gewahrt: Sie können ihren Flug zu einem späteren Zeitpunkt antreten.“

Eine Variante sieht vor, dass die Kunden ihre Gutscheine im Falle der Nichtnutzung nach 18 Monaten wieder gegen Geld zurückgeben können. „Während dieser Zeit“, kritisiert allerdings Lars Watermann, Chef des Fluggastrechte-Portals EUFlight, „würden die Airlines ihre Kunden praktisch als Hausbank missbrauchen.“

Die Unionsfraktion im Bundestag hat sich bereits für eine solche Lösung ausgesprochen. „Die Gutscheinlösung kann einen angemessenen Interessenausgleich zwischen der Branche und den Verbrauchern darstellen“, sagt Jan-Marco Luczak, verbraucherpolitischer Sprecher der Union.

„Wir wollen nicht, dass insbesondere kleine Reisebüros in Existenznot geraten. Für die Union ist aber genauso wichtig, dass wir die Verbraucher nicht im Regen stehen lassen. Deswegen müssen die Gutscheine zwingend werthaltig sein.“

Außerdem solle es eine Härtefallregelung für Verbraucher geben, die wegen Corona in wirtschaftlicher Existenznot sind. „Sie müssen ihr Geld sofort zurückbekommen können“, sagt Luczak.

EU-Kommission kommt Unternehmen ein wenig entgegen

Die Bundesregierung sieht für eine nationale Regelung indes keinen Spielraum. „Es kommt nur eine unionsrechtliche Lösung in Betracht“, sagte ein Sprecher von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Daher führe die Regierung Gespräche mit der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten.

Die EU-Kommission hat Mitte des Monats Handlungsleitlinien veröffentlicht, die Fluglinien und nationalen Behörden helfen sollen, die EU-Regeln in der Krise zu interpretieren. Darin weist sie darauf hin, dass Airlines trotz der Corona-Krise verpflichtet sind, den Ticketpreis zu erstatten.

Auch die zuständigen Kommissare in Brüssel haben aber erkannt, wie heikel die geltende Regelung für die Unternehmen ist. „Das Recht ist deutlich. Airlines müssen stornierte Tickets ersetzen“, sagt die zuständige Verkehrskommissarin Adina Vălean gegenüber WELT. „Sie können natürlich auch einen Gutschein anbieten, aber nur – und das ist sehr wichtig –, wenn der Kunde zustimmt. Wenn der Kunde Gutscheine oder andere Vorschläge ablehnt, muss das Unternehmen erstatten.“

Die Kommission beobachte die Situation sehr genau, versicherte die rumänische Politikerin: „Einstweilen sind wir dabei festzustellen, wie viel Liquidität die Unternehmen für die Rückzahlungen benötigen, um ein Bild davon zu gewinnen, wie bedeutend diese Summen sind und ob es nötig ist, in dieser Angelegenheit Maßnahmen zu ergreifen. Aber in der Zwischenzeit ist die Rechtslage klar.“

Aus Brüssel kommt aber auch die Mahnung an Berlin und andere Hauptstädte, keine Alleingänge zu unternehmen. „Die Kommission ruft die Mitgliedstaaten auf, keine nationalen Lösungen zu verfolgen, sondern zu einer Lösung auf europäischer Ebene beizutragen“, sagte ein Kommissionssprecher.

Verbraucherschützer gegen Gutschein-Zwang

Verbraucherschützer lehnen derweil den Gutschein-Zwang ab: „So richtig es ist, dass Unternehmen in der Reisebranche oder Luftfahrt in der Corona-Krise erhebliche Nothilfen des Staates bekommen, so falsch ist es, Verbraucher zwangsweise als eine Refinanzierungsquelle für Veranstalter einzusetzen“, sagt Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale-Bundesverband (VZBV) in Berlin: „Es ist nicht akzeptabel, dass Großkonzerne, wie TUI, Bazooka-Hilfe in Form eines 1,8-Milliarden-Euro-Kredits aus dem Corona-Hilfsprogramm erhalten und gleichzeitig Verbraucher ihre Anzahlungen für ausgefallene Reisen und Flüge nicht zurückerhalten sollen.“

Ob sich Härtefallregeln als praktikabel erweisen, sei unsicher, glaubt die Verbraucherschützerin. „Die Wahl, ob Erstattung oder Gutschein, muss jeder nach seiner finanziellen Situation frei treffen dürfen“, fordert Jungbluth: „Zwangssolidarität mit Zwangskrediten für Reiseanbieter, Airlines und andere Unternehmen gefährdet die Zustimmung der Menschen für die Corona-Maßnahmen und das Vertrauen in den Rechtsstaat.“

Die einzige Lösung sehen die Verbraucherschützer – und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) – in einem staatlichen Fonds, aus dem die Rückzahlungsansprüche der Kunden beglichen werden. Nur so könnten Kundenrechte erfüllt werden, ohne zugleich Airlines und Reisebüros in die Pleite zu treiben. Freilich müsste auch so eine Lösung erst einmal in Einklang mit dem EU-Recht gebracht werden.

Dax erneut unter Druck – Märkte bleiben volatil

Nach dem Aufwärtstrend der vergangenen Tage steht der Dax erneut unter Druck. Der Marktanalyst Jochen Stanzl beurteilt gemeinsam mit Wirtschaftsredakteur Dietmar Deffner die Corona-Folgen für die Börsen.

Quelle: WELT / Dietmar Deffner

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